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Zwischen Chaos und Entspannung: Mumbai und Goa

Unterwegs im Land des Lächelns
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Autorin

Jessica Feustle

Jessica Feustle hat an der Universität Zürich Publizistik- und Kommunikationswissenschaft studiert und wuchs in Zürich auf. Obwohl sie sich selbst als «Reisefüdli» bezeichnet, kommt sie immer wieder gerne in ihre Heimatstadt zurück. Das Reisen ist bei ihr immer mit Abenteuer und dem Kennenlernen von verschiedenen Kulturen verbunden, weswegen sie auch nie ein Land zweimal bereisen will. 

Mumbai und Goa: Gegensätzlicher geht es wohl nicht. Erholung nach dem grossen Chaos der Millionenstadt — so haben wir uns das vor der Reise gedacht. Doch es kam anders. 

Ich blinzle der Sonne entgegen und bemerke, dass sie schon in ihrer typischen Mischung aus orange-rot glänzt. Kitschig spiegelt sie sich perfekt im Meer und im nassen Sand von der langsam zurückgehenden Flut des Arabischen Meeres, das seine Wellen mit stetigem Rauschen vor mir an den Ashvem Beach in Goa spült. Es ist fast 18 Uhr, die Sonne schon weit unten am Horizont. Der pastellfarbene Horizont erweckt mich langsam wieder aus einer Trance, zurück in die Realität. Eingetaucht bin ich in das dicke Buch, das nun durch meine Bewegungen von meinem Liegestuhl in den hellbraunen Sand fällt. «Shantaram» heisst es. Auf Marathi, eine Regionalsprache in Indien, bedeutet der Titel «Mann des Friedens». Es handelt sich um die Geschichte eines Outlaws, der sich in den Slums von Mumbai von den Behörden versteckt. Leben und Tod in dieser Millionenstadt, was oft unverständlich bleibt für dessen Besucher, wird in diesem Buch äusserst genau, farbenfroh und manchmal gnadenlos beschrieben. 

Bevor wir den Flug nach Goa angetreten sind, verbrachten wir einige Tage in Mumbai und waren beeindruckt. 

In der grossen Stadt

Mumbai, das bis 1996 offiziell Bombay hiess, liegt an der Westküste Indiens, ist die Hauptstadt des Bundesstaates Maharashtra, beherbergt über 12 Millionen Einwohner und ist damit die grösste Stadt Indiens. Soweit die offiziellen Fakten. Es ist eine Stadt der Gegensätze: Viele der Bewohner leben in schlimmster Armut in den riesigen Slums der Stadt. Wie kleine handwerkliche Meisterwerke reihen sich die Blechhütten aneinander und sehen von oben aus wie eine überdimensionale Patchworkdecke aus Plastikplachen und Aludächern. Verbringt man nur einige Tage in der riesigen Stadt, so machen sich diese Landstriche bloss beim Anflug und vom Taxi aus bemerkbar. Überall in den Strassen ertönen die Geräusche von kleinen handbetriebenen, mit Glöckchen geschmückten Zuckerrohrmühlen und erzählen von der harten Arbeit der Markthändler. Andererseits ist die Globalisierung längst angekommen, der Reichtum an jeder Ecke ersichtlich. 
 

Die Stadt ist laut, sehr laut. Die Geräusche lassen sich erst mit dem Schliessen der Hotelzimmertüre am Abend aussperren. Auch ist die Stadt grün. Überall wachsen Bäume und Gebüsche, mit stetiger Kraft dringt das Grün durch den Beton und umrankt die verrosteten Zäune. Bäume wachsen manchmal so hoch, dass sie die vielen viktorianisch-gotischen und andere beeindruckenden oder auch heruntergekommenen Gebäude der Stadt hinter sich verstecken. Auf den Verkehrskreiseln stellen farbenfrohe Blumen ihre Blütenpracht zur Schau. Die Stadt strotzt vor Leben, sie strahlt einen Charme aus, der mich sofort packt. 

Nur zwei Tage haben wir Zeit, in die vielen Gässchen Mumbais einzutauchen. Bei so wenig Zeit müssen wir uns auf Entdeckungsspaziergänge im Süden Mumbais begrenzen, obwohl die Stadt so viel mehr zu bieten hat. 

Goa — Ein Paradies mit Schattenseiten

Ich liege noch immer auf meiner Liege am Strand von Goa und schaue zu, wie die Sonne sich immer weiter in Richtung Meer bewegt. Manchmal verschwindet sie im Dunst bevor der Horizont zu Ende ist. Es gibt hunderte schöne Strände in Goa, dem kleinsten Staat von Indien. Wir sind ganz oben in den Norden Goas an den Ashvem Beach gereist. Etwas weiter südlich liegt die berühmtere Ortschaft Anjuna; sie ist wegen ihrer Bekanntheit mit Touristen überfüllt und weniger zu empfehlen. 

Niemals hätte ich eine solche Ruhe erwartet. Es ist März, bald ist die Saison zu Ende und dieses Jahr läuft es sowieso nicht gut. Das jammert uns Sita vor, die Strandverkäuferin und Überredungskünstlerin. Mein Freund stellt sich schon schlafend, sobald das Klimpern ihrer Fussbändchen zu hören ist. 

Schnell merken wir, dass hinter der paradiesischen Fassade Probleme lauern: Das Meer wird von den Flüssen aus dem Inland verschmutzt; der Abfall aus den Autofenstern geworfen. Die meisten Touristen lassen sich daran nicht stören. Die Wellen sind hoch, ein paar Surfer sind in Sicht. Samstagabends stürmen Touristen und Einheimische gleichzeitig nach Calangute: dort findet der wöchentliche Saturday Night Market statt. Essensstände mit veganen Menues und Stände von westlichen Designern reihen sich neben einheimischen Tücher- und Schmuckverkäufern. Mitten drin steht eine Bühne, auf der eine ziemlich schräge Live-Band (die Sängerin trägt einen neonpinken Overall) mit einem nicht immer funktionierenden Mikrofon kämpft. Davor sitzen alle durcheinander auf Plastikstühlen, schlürfen Wasser aus Kokosnüssen, essen Curry mit den Händen und lauschen der Musik. Wer es ruhiger mag, soll am Ashvem Beach hinter dem Restaurant La Plage den kleineren Markt besuchen. Er heisst «From Paris to Goa» und beheimatet einen kleinen Coiffeur und hübsche Designerläden. 

Der zweitletzte Tag ist angebrochen und ich möchte nicht gehen, ehe ich die kulturellen Schätze von Goa gesehen habe. Wir machen uns deshalb mit einem Taxi auf den Weg nach Old Goa. Auf einem kleinen Gebiet dieser alten Kolonialstadt reihen sich ganze vier pompöse Kirchen aus der Zeit, als die Portugiesen hier missionierten. Im hellen Tageslicht blendet das Weiss der Kirchenmauern, im Innern ist es kühl und kitschig. 
 

Von Old Goa ist es nur noch eine kurze Distanz nach Panaji, der Hauptstadt Goas. Im Zentrum thront die «Our Lady of the Immaculate Conception Church». An den Schiffsstegen warten Casinoschiffe auf verspielte Touristen und nehmen sie mit auf ein paar Stunden Flussfahrt, wo sie sich im Innern an Roulettetischen und einarmigen Banditen amüsieren können.

Trotz den Schattenseiten, die ich als Gast in diesem Land nicht ignorieren will, werde ich Indien als Land des Lächelns in Erinnerung behalten. Das Fieber, von dem man stets von den Indien-Rückkehrern hört, hat mich gepackt und ich weiss, dass ich wiederkommen werde. 

Hier geht es zum Best of Strand-Restaurants am Ashvem Beach in Goa.

Fotos: Jessica Feustle