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Eigentlich will sie in Sri Lanka nur Ayurvedaferien machen. Stattdessen beschliesst Gesundheitstherapeutin Minou Sikken auf ihrer Reise, ein Guesthouse zu bauen und damit eine vom Tsunami betroffene Familie zu unterstützen. Ihre Devise: Anpacken, bevor man es sich anders überlegt.
«Es sieht nicht so aus, wie wir es uns vorgestellt haben, aber wir mussten uns den lokalen Möglichkeiten anpassen.» Minou scrollt durch das Fotoalbum in ihrem Handy und zeigt Bilder von einer Baustelle. Die letzten zwei Jahre verbrachte sie regelmässig mehrere Monate im Süden Sri Lankas, um einer vom Tsunami betroffenen Familie beim Aufbau eines Guesthouses zu helfen. Drei Gebäude soll es insgesamt geben; mit genügend Wohnraum und Aufgaben für alle elf Familienmitglieder – und mit Zimmern für die Gäste aus dem Ausland. Mit Crowdfunding, eigenen Ersparnissen und einem Charity Event, bei dem sie Kunsthandwerk verkaufte, brachte sie rund 15’000 Franken zusammen und konnte damit im wahrsten Sinne des Wortes das Fundament für das Guesthouse legen. Jetzt ist sie wieder in der Schweiz, um Geld zu verdienen und ihr Projekt voranzutreiben. Als Gesundheitstherapeutin führt Minou Sikken eine eigene Praxis am Hauptsitz von Kuoni und bietet ganzheitliche Massage-Behandlungen an. In Zürich lebt die 47-Jährige in einem bescheidenen WG-Zimmer und fährt Velo statt Auto, damit die Kosten möglichst tief bleiben. «Ich brauche nicht viel, um glücklich zu sein», sagt sie. Eigentum anhäufen und gleichzeitig im Bewusstsein leben, dass anderswo Menschen nicht genug zu essen haben, das könne sie nicht. Schon immer habe sie zehn Prozent ihres Einkommens für wohltätige Zwecke gespendet.
Die gebürtige Holländerin schloss ursprünglich eine kaufmännische Ausbildung ab und arbeitete danach fast 20 Jahre lang in der Gastronomie, für renommierte Lokale in Zürich wie das Les Halles oder die Brasserie Lipp. Das Reisen spielte schon immer eine zentrale Rolle: «Ein Jahr reisen, ein Jahr arbeiten und regelmässig weiterbilden, so habe ich meine Jugend verbracht», erzählt sie. Als Seconda fühle sie sich nicht nur an einem Ort beheimatet, sondern auf der ganzen Welt zu Hause. Zu Sri Lanka hatte Minou keine spezielle Verbindung. 2015 änderte sich das. Minou verbrachte mit ihrem Freund und ihrer Mutter zwei Wochen in einem bekannten Ayurvedaresort an der Südküste, um abzuschalten und Kraft zu tanken. Ein anderer Feriengast erzählte ihr von seinem Vorhaben, eine benachbarte singhalesische Familie beim Aufbau eines Guesthouses zu unterstützen. Die elfköpfige Familie Uswaththage betrieb einst einen kleinen Batik-Shop am Strand und konnte sich damit selbst relativ gut versorgen. Doch dann kam 2004 der Tsunami. Der Vater der Familie konnte seinen Lebensunterhalt als Stelzenfischer nicht mehr bestreiten. Kubalagama, das Dorf, in dem sie leben, musste teilweise neu aufgebaut werden. Inzwischen ist das meiste repariert; genug zum Leben haben sie deswegen aber trotzdem nicht.
Minou war von der Idee begeistert, ein Guesthouse zu bauen, und sagte zu. Der Initiant allerdings sprang nach wenigen Monaten ab. Für sie kam das nicht infrage. «Ein Versprechen ist ein Versprechen» sagt sie. Minous Ziel ist es, ihr Know-how weiterzugeben und der Familie zu helfen, sich wieder selbst versorgen zu können. «Das war nicht immer leicht», gesteht die 47-Jährige. Es gab auch schon Streit und Tränen. Man vergesse zu leicht, dass in Sri Lanka nicht nur der Tsunami wütete, sondern auch lange Zeit Krieg herrschte und viele Leute traumatisiert sind. Hinzu kommen kulturelle und sprachliche Unterschiede. Solch ein Projekt geht an die Substanz, sagt Minou. «Doch am Schluss hat uns das nur noch näher zusammengebracht. Meine Devise lautet: Anpacken, bevor man es sich anders überlegt. Guerilla-Taktik eben.
Nilantha, mit 41 Jahren der jüngste Sohn der Familie, soll in Zukunft alle Fäden ziehen und die Verantwortung für das Guesthouse tragen. Als einziger unverheirateter, männlicher Nachkomme kümmert er sich um seine Eltern und Geschwister. Da er selbst keine Kinder und somit keine Altersvorsorge hat, ist er auf eine sichere Einkommensquelle für die Zukunft angewiesen. Minou ist überzeugt davon, dass er der Richtige für diese Aufgabe ist. «Er arbeitet hart und lernt extrem schnell», erzählt sie. Fünf Tage die Woche packt er als Hilfskraft am Hafen mit an, die Wochenenden füllt das Projekt Guesthouse. Dass die Gäste kommen werden, daran zweifelt sie nicht. Die traumhafte Lage direkt am unverbauten Red Rock Beach ist besonders bei Surfern beliebt und lockt jedes Jahr viele Individualreisende aus der ganzen Welt an. Aber auch wer nicht selbst in dem Guesthouse übernachten möchte, kann Gutes tun. Leute, die eine Pauschalreise nach Sri Lanka buchen, können beispielsweise alte Kleider mitbringen, Stifte, elektronische Geräte – im Prinzip alles, das funktionstüchtig ist und Sinn ergibt. Damit helfe man vielen Leuten schon sehr.
Für die Weltenbummlerin ist Sri Lanka inzwischen zur Wahlheimat geworden. Sie hat das ganze Land bereist, von der Südküste mit den Bilderbuchstränden über die Teeplantagen im Hochland bis zu traditionsreichen Städten wie Kandy, wo sich in einem Tempel ein Zahn des Buddhas befinden soll. Als Gesundheitstherapeutin ist Minou fasziniert von Ayurveda und vom alten Wissen, das man in Sri Lanka mit moderner Schulmedizin verbindet. Aber auch von der Herzlichkeit, die ihr die Menschen im Alltag entgegenbringen. Sie scrollt zum letzten Bild in ihrem Album und zeigt einen Screenshot von ihrem Flugticket. Die nächste Reise nach Sri Lanka ist bereits gebucht.
Text: Magdalena Ostojic
Bilder: Minou Sikken, David Torcasso, Shutterstock