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Kambodscha ist ein Land, das keinen leichten Stand zwischen anderen Destinationen in Südostasien hat. Es bietet nicht den Komfort Thailands, nicht die Gelassenheit Vietnams und nicht die Schönheit Laos´. Dazu kommt eine schwere Vergangenheit sowie Armut in der Landbevölkerung. Die einzig wahre Sehenswürdigkeit im Land ist die älteste Tempelanlage der Welt, Angkor Wat. Kambodscha ist trotzdem eine Reise wert: Die Einheimischen sind rührend, die Tempel beeindruckend und die Geschichte aufwühlend. Man kann sich in Kambodscha in die Vergangenheit begeben, aber auch im Hier und Jetzt seinen Spass haben.
Eine Woche für ein ganzes Land ist nicht besonders lange. Trotzdem entscheide ich mich, Kambodscha kompakt zu bereisen. Dabei bleibt mir aber nur Zeit für die Sehenswürdigkeiten, die alle relativ nahe beieinander liegen. Ich starte meine Reise im touristischen Herzen Kambodschas — in Siem Reap. Mit der gigantischen Tempelstadt rund um Angkor Wat im Dschungel ist Siem Reap das Highlight in Kambodscha. Rund zwei Millionen Besucher pro Jahr zieht das architektonische Wunderwerk an.
Die erste Hürde kommt am Flughafen in Siem Reap. Die meisten westlichen Touristen können dort ein Visa-on-arrival beantragen. Aber natürlich nur, wenn man das nötige Geld dabei hat. 30 Dollar pro Person. Ich habe glatt vergessen, dass das Visa kostet. Zum Glück habe ich aber noch thailändische Baht auf mir, mit denen ich bezahlen kann. Vergessen Sie auch nicht, ein Passfoto mitzunehmen. Es gibt kaum Möglichkeiten eins vor Ort zu machen. Siem Reap ist eine Stadt, die nur dank der ältesten, noch in dieser Form bestehenden Tempelanlage der Welt existiert. Eine Stadt ganz auf die Bedürfnisse von Touristen ausgerichtet. Neben unzähligen Souvenirshops, Bars und Restaurants gibt es sogar ein Spielkasino.
Mein Guesthouse hat mir für 25 Dollar pro Tag einen Tuk-Tuk-Fahrer zur Besichtigung der Tempelanlage besorgt. Vor allem jüngere Besucher leihen sich aber auch gerne ein Fahrrad. Doch um fünf Uhr morgens möchte ich mich noch nicht auf einen Drahtesel schwingen. Um Angkor Wat in seiner ganzen Schönheit zu erfahren, muss man früh aufstehen! Bei Sonnenaufgang, wenn die Sonne hinter den Türmen aufsteigt, ist die Stimmung am eindrücklichsten. Und man hat genug Zeit, die wichtigsten Tempel in der rund 200 Quadratkilometer grossen Anlage zu erkundigen.
Chan, der Tuk-Tuk-Fahrer, erweist sich als Glückstreffer: Er bietet mir sogar an, mich ohne Aufpreis bereits am Vorabend zur Tempelanlage zu fahren, damit ich mir ein Ticket ohne Anstehen kaufen kann und den von der Abendsonnen angeleuchteten Haupttempel vorab fotografieren zu können. Nach einer halben Stunde Fahrt stehe ich vor Angkor Wat und bin für Minuten in den Bann gezogen.
Ich habe auf meinen Reisen einige Wunderwerke gesehen. Doch bei Angkor Wat verschlägt es jedem Besucher kurz den Atem. Höchstens der Taj Mahal oder die Pyramiden können es mit diesem Bauwerk aufnehmen. Die Perfektion der Türme, die an überdimensionale Blüten erinnern, die erstaunliche Erhaltung dieses über tausend Jahre alten Bauwerks und die Ausstrahlung weit über den Dschungel hinaus sind unbeschreiblich. In knapp vierzig Jahren hat der damalige Herrscher König Suryavarman der Zweite diesen Tempel für den hinduistischen Gott Vishnu erbauen lassen. Zu seiner Blütezeit lebten in der dazugehörigen Stadt Angkor Thom rund eine Million Menschen. Kein Wunder war Angkor Wat 2007 im Finale zur Ernennung der sieben Weltwunder der Neuzeit.
Als ich am nächsten Morgen um fünf Uhr in der Dunkelheit mit Chan, dem Tuk-Tuk-Fahrer, bei der Tempelanlage ankomme, realisiere ich, dass auch viele andere die Idee hatten, sich für den Sonnenaufgang aus dem Bett zu quälen. Vor einem kleinen See vor Angkor Wat stehen hunderte Besucher mit gezückten Smartphones und Kameras. Ein wahres Gedränge wie beim Ausverkauf. Jeder möchte den richtigen Augenblick erwischen. Ich auch — wobei ich mich frage, warum nicht eine Person das Bild macht, das alle wollen, und dann auf die Dropbox lädt. Ich stelle mich, nachdem ich den Sonnenaufgang eingefangen hatte, auf die andere Seite des kleinen Sees und fotografiere die Menschen, die gebannt hochblicken.
Nachdem ich Angkor Wat im Innern angeschaut habe, fahre ich mit Chan weiter in die eigentliche Tempelstadt Angkor Thom. Alle paar hundert Meter halten wir vor einem neuen Tempel. Ich steige die fast senkrechten, steilen Stufen hoch und geniesse den Ausblick. Dieser Aufstieg ist aber nicht ohne, und mit Flip-Flops lebensgefährlich. Deshalb ist die Ausrüstung für die Besichtigung der Tempelstadt klug zu wählen: Trotz den Bäumen brennt die Sonne ab 9 Uhr morgens (Sonnenschutz) der Durst kommt (viel Wasser trinken), abends die Moskitos (Mückenspray) und falsches Schuhwerk (Sandalen, Flip-Flops) rächt sich nach drei Stunden über Stufen und Steine mit schmerzenden Füssen.
Dafür wird man mit einer Tour durch eine historische Stätte, die seinesgleichen sucht, belohnt. Angkor Thom ist geheimnisvoll, gar mystisch. In einem der zahlreichen Tempel ist das scheinbar lächelnde Gesicht Buddhas in die Steine eingemeisselt, im anderen entspringen Elefantenrüssel aus dem Stein. Nicht nur die Steingemäuer sind eindrücklich, sondern auch die Bäume mit ihren gigantischen Wurzeln mitten im Dschungel. Vor lauter Staunen vergesse ich die Zeit: Zwölf Stunden sind vergangen!
Auf der Rückfahrt möchte mir Chan etwas zeigen: Wie viele Männer in Kambodscha war er einige Jahre lang Mönch. Wir fahren zu seiner ehemaligen Klosterschule, die auch zwischen drei kleineren Tempeln liegt. Er deutet auf ein Haus mit roten Fensterläden und erklärt, dass er hier zwischen 15 und 22 Jahren gelebt habe. Am Wendepunkt, sein restliches Leben Buddha oder der Liebe zu widmen, entschied er sich, seine Frau zu heiraten.
Ich schliesse mich am nächsten Tag einer Gruppe Engländern an, die nach Koh Rong, der einzigen Badeinsel Kambodschas, übersetzen. Nach einer kurzen Bootsfahrt werden wir auf der Insel von englischen Volontären instruiert. Es gibt hier keine Geldautomaten und das Wasser ist relativ knapp. Nach dem Einchecken gehen wir zum Strand und baden eine Stunde im lauwarmen Meer. In den Herbergen, Bars und Restaurants entlang des Hafens herrscht abends Hochbetrieb: Leute essen und trinken vergnügt im Sonnenuntergang, dann werden die Bars zu Musikclubs umfunktioniert.
Mit einem Zugang zum Golf von Thailand bietet Kambodscha einige schöne Strände. Wobei das Land, abgesehen von den Inseln Koh Rong und Koh Rong Saloem, nur einen echten Badestrand hat: Sihanoukville. Rund um Sihanoukville befindet sich der Victory Beach, an dem sich vor allem Backpacker tummeln und Strandpartys stattfinden. Weiter unten liegt der Ortes Beach, der ideal zum in der Sonne fläzen ist, weil es dort kaum Bars oder Restaurants gibt, sondern nur Palmen und Sand. In Sihanoukville selbst ist der Strand zu überstellt: Dutzende Restaurants und Bars reihen sich nahtlos aneinander. Dafür gibt es in Sihanoukville Angebote zum Surfen, Kitesurfen und Tauchen — zu viel günstigeren Preisen als in Thailand etwa.
Nach dem ganzen Trubel möchte ich am nächsten Tag entspannen und fahre zum Strand auf der anderen Seite der kleinen Insel. Dort treffe ich auf einen traumhaften Sandstrand mit klarem Wasser und absoluter Ruhe.
Nach der erholsamen Zeit auf der Insel Koh Rong, lande ich schliesslich mitten im Gewühl der Hauptstadt Phnom Penh. Obwohl Phnom Penh mit rund zwei Millionen Einwohner nicht mit Bangkok oder Hanoi mithalten kann, bringt die kambodschanische Kapitale mit Leuchtreklamen, Nachtleben und Hochhäusern alles mit sich, was eine pulsierende Hauptstadt ausmacht. Bei Phnom Penh kommt die faszinierende Architektur hinzu, die durch die Kolonialzeit französisch geprägt ist. Besonders der Zentralmarkt ist ein bauliches Juwel. Die Hauptsehenswürdigkeit von Phnom Penh hingegen lädt nicht zum Staunen, sondern zum Nachdenken ein: Es sind die killing fields bei Choeung Ek. Dort wurden unter dem maoistischen Diktator Pol Pot bei einem der furchtbarsten Genozide der Menschheitsgeschichte in den 1970er-Jahren über 20 000 Menschen umgebracht. Die Felder waren bei Auflösung mit Totenschädeln und Skeletten übersät. Ein Teil der Schädel wird dort zum Gedenken an die Toten heute in einer Stupa aufbewahrt.
Selbst regelmässige Besucher solcher historischen Stätten werden bei den killing fields leer schlucken. Die Massengräber sind heute noch sichtbar. Am Eingang zum Gelände erhält man einen Audio-Führer, der den Besuchern die furchtbare Geschichte Kambodschas unter Pol Pot näher bringt. Vor Ort redet kaum jemand, alle laufen bedacht zwischen den Gräbern umher. Obwohl dieser Rundgang aufs Gemüt drückt, ist die Auseinandersetzung wichtig. Pol Pot hatte innerhalb von zehn Jahren rund einen Viertel seiner Landsleute umgebracht. Jeder Kambodschaner war vom Regime betroffen, alle haben Verwandte verloren. Das Durchschnittsalter in Kambodscha beträgt heute 23 Jahre.
Zurück im Stadtzentrum schaue ich mir auch Tuol-Sleng, kurz genannt S-21, ein ehemaliges Gefängnis des Pol Pot-Regimes an. Vor der Diktatur ein Gymnasium, diente es während der Macht der Roten Khmer als Folter- und Verhörzentrum. Das Museum will aufrütteln. Amerikanische Touristen drängeln sich um einen älteren Kambodschaner, einen ehemaligen Insassen von S-21, der ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben hat. Als eine junge, blonde Frau ein Selfie mit dem Mann schiesst, wende ich mich ab.
Damit nicht dieses traurige Schicksal von Kambodscha meine letzte Erinnerung an das Land bleibt, mische ich mich abends in Phnom Penh unter die Leute. Als Mann ist es nicht ganz einfach, die so genannten Kontaktbars, vor denen jeweils eine Handvoll junge Kambodschanerinnen in knapper Kleidung sitzen, zu umgehen. Schliesslich finde ich aber sogar noch eine Bar, in denen Touristen und Einheimische sich die Klinke in die Hand geben. Ich lausche den Gesprächen und dem Lachen und spüre: Die Menschen in Kambodscha blicken in die Zukunft und nicht zurück auf ihre traurige Vergangenheit. Sie werden nicht durch Melancholie und Wehmut aufgehalten. Deshalb gehört Kambodscha zu den aufstrebenden Ländern des 21. Jahrhunderts.
Fotos: David Torcasso, DER Touristik Suisse AG