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Wäre Israel ein Buch, wäre es am besten mit dem von Michael Ende 1979 erschienenen Titel «Die unendliche Geschichte» zu vergleichen. Ein märchenhafter, fantastischer und romantischer Bildungsroman. Israel ist ein wunderbares Fleckchen Erde, das schon lange vor unserer Zeit Pilgerväter, Gläubige und Abenteuerlustige in seinen Bann zog und heute seinen Reisenden intensive Einblicke in Geschichte, Kultur und Naturschönheiten bietet.
Israel war für mich immer ein weit entferntes Land. Der Ort, von der die Bibel ihre himmlischen Geschichten erzählt und der Grund, weshalb wir heute an manchen Tagen nicht zur Arbeit müssen, weil wir stattdessen Weihnachten, Dreikönigstag oder Ostern feiern. Also doch nicht so weit weg das Ganze. Dennoch stellt sich die Frage, weshalb David, der erste König der Juden, 1000 v. Chr. seine Tempelstadt in Jerusalem, inmitten der Wüste des Nahen Osten errichten liess. Diese und andere Neugierden brachten mich letztendlich im Rahmen einer zweiwöchigen Studienreise ins gelobte Land.
Vier Stunden Flug und ein köstliches Menü aus Falafel, Hummus und Couscous-Salat später erreiche ich mit meiner Studiengruppe den Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv. Sein Namensgeber: kein geringerer als der erste israelische Ministerpräsident, der in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 1948 Israel als unabhängig erklärte. In Windeseile erreichen wir mit dem Schnellzug das Zentrum in Tel Aviv, in welchem von jeder zweiten Werbetafel das israelische Topmodel Bar Rafaeli zuzwinkert.
Tel Aviv, oder vom Zionisten Theodor Herzl in seinem Roman von 1902 als Altneuland bezeichnet, hat sich zur Hipster City des 21. Jahrhunderts etabliert. Die Meeresküste ziert eine wundervoll gestaltete Promenade mit Fitnessgeräten, gemütlichen Sitznischen und hippen Strandlokalen. Fitness und Health-Food stehen hier an oberster Stelle, so dass ich es mir am nächsten Morgen ebenso nicht entgehen lassen kann, um sechs Uhr früh in Richtung Jaffa zu joggen. Ich lasse mich aber nicht nur von der Sportlichkeit der Einwohner beeindrucken. In der Innenstadt verzaubert der Rothschild Boulevard mit historischer Bauhausarchitektur, dem besten Egg-Benedict-Lokal, in dem sogar schon Madonna speiste und kreativen Modelabels und Kunstateliers. Mein Favorit: Das Frozenjoghurt-Angebot, das keine Wünsche offen lässt.
Nach einer zweistündigen Busfahrt von Tel Aviv erreichen wir, das 428 Meter unter dem Meeresspiegel liegende, En Gedi. Das Naturreservat liegt am Westufer des Toten Meeres. Wegen der tiefen Luftfeuchtigkeit und den extrem hohen Temperaturen rät uns unser Tourguide mindestens 1.5 Liter Wasser einzupacken. Die Hitze ist erdrückend, der Weg steil und meine Finger sind zu Elefantenhänden angeschwollen. Schon bald gewinnen wir an Höhe, das unsere Augen mit dem atemberaubenden Ausblick über das sandfarbene Gebirge bis hin zum nahegelegenen Toten Meer belohnt. Für eine spätere Abkühlung sorgen die kleinen «Quellen des Zickleins» — was die hebräische Übersetzung für En Gedi bedeutet. Mit leeren Wasserflaschen kehren wir zurück zum Tourbus, der uns weiter zum Strand am Toten Meer bringt.
Traurig aber wahr: Das Tote Meer ist bedroht und geht jährlich bis zu einem Meter zurück. Dass dies schon länger der Fall ist, zeigen verlassene Badeanstalten — sogenannte «Forgotten Places», die früher einmal unmittelbar am Wasser lagen und nun wegen ihrer Distanz zum Salzsee geschlossen werden mussten. Hotels und Bademöglichkeiten gibt es aber noch zur Genüge. So gönne auch ich mir ein wohltuendes Bad. Das Schwebegefühl ist unbeschreiblich. Ich verinnerliche den Gedanken, wie sich ein Leben als nimmer sinkende Boje anfühlen würde und sehe den anderen Touristen beim Abwaschen ihrer Schlammpackung zu. Ab und zu schwebt jemand mit einer Zeitung in der Hand und auf dem Rücken liegend an mir vorbei.
Am Toten Meer liegt der Tafelberg Masada. Dieser gehört zu den bedeutendsten Orten der jüdischen Geschichte und wurde aufgrund seiner archäologischen Ausgrabungen 2001 auf die Liste der UNESCO Kulturerbes gesetzt. Der grosse König Herodes liess hier etwa zwischen 40 v. Chr. eine Festung erbauen, die 66 n. Chr. im jüdischen Krieg gegen die Römer nach einer langen Belagerung zerstört wurde. Noch heute sind zahlreiche Funde zu sehen, die einen einzigartigen Einblick in das damalige jüdische Leben auf der Festung geben.
Mein Wecker klingelt um drei Uhr morgens. Um 03.30 Uhr ist Treffpunkt vor dem Masada Youth Hostel. Mit Stirnlampe und noch etwas Traumstaub in den Augen schreiten wir Schritt für Schritt in der Dunkelheit den Tafelberg hinauf. Mit uns einige israelisch-amerikanische Teenagergruppen und eine kleinere Mannschaft, die die Überschrift «Masada Bootcamp» auf dem T-Shirt trägt. Letzteren fühle ich mich äusserst verbunden. Ich fühle mich selbst wie im Bootcamp und muss mir meine Kräfte bis nach oben überlegt einteilen. Nicht so einfach! Denn irgendwie scheinen es hier alle, aus Angst denn Sonnenaufgang zu verpassen, ziemlich eilig zu haben. Dementsprechend hoch ist das Schritttempo. Wir schaffen es zum Glück rechtzeitig auf die Bergplatte. Mit stolzem Blick ins Tal hinunter begrüssen wir die ersten Sonnenstrahlen und beglücken uns an der Aussicht bis nach Jordanien. Für den Rückweg entscheiden wir uns für die Seilbahn, die aus Schweizer Handwerk stammt.
In der Negevwüste Israels liegt eine Naturschönheit neben der anderen. So sei hier auch der grösste Erosionskrater des Jordangrabens, der Machtesch Ramon, zu nennen. In seiner grössten Ausdehnung misst er fast 40 Kilometer. In die Weite und ebenso Tiefe des Kraters blicken wir auch, als wir am nördlichen Punkt Mitzpe Ramon stehen. Ausschau halten ist aber nicht genug. Unser Tourbus fährt uns ins Innere dieses einzigartigen Naturphänomens. Zwischen den riesigen Kalksteinkuppen wandernd, komme ich mir winzig vor. Weil im Sommer gerade Dürrezeit herrscht, ist es nur schwer vorstellbar, dass hier die Erosionen einmal im Jahr mit grossen Regengüssen komplett mit Wasser gefüllt werden. Bei einer kleinen Pause lässt warmer Schwarztee meinen Körper die unglaubliche Hitze vergessen – ein altes Beduinengeheimnis, um die 40 Grad der Negevwüste zu überstehen. Als wir aus dem Krater wieder rausklettern, empfängt uns ein Beduine zum Abendbrot und erzählt uns vom akzeptierten Zusammenleben der jüdischen Bevölkerung und den dort sesshaften arabischen Beduinenfamilien im Negevgebiet.
In Jerusalem wird Geschichte Wirklichkeit. Hier trifft Antike auf Moderne und lässt seinen Besuchern die Möglichkeit, in unzählige historische, kulturelle und religiöse Stätte einzutauchen. Unseren ersten Halt machen wir auf dem Ölberg — oder auch Olivenberg genannt. In der Antike sollen hier hunderte von Olivenbäumen gestanden haben. Auf der 818 Meter hohen Hügelkette hat man die perfekte Aussicht auf den unmittelbar gegenüberliegenden Tempelberg und die goldene Kuppel der al-Aqsa-Moschee.
Jerusalem ist eine Stadt, die man nicht beim ersten Besuch komplett durchleuchten kann. Ein Schweizer Reisereporter sagte mal zu mir: «Jedes Mal, wenn ich Jerusalem besuche, entdecke ich wieder etwas komplett Neues». So auch, weil heute noch stetig neue archäologische Funde gemacht werden. Einer dieser Sorte hat mich besonders beeindruckt. Auf dem südlichen Höhenrücken des Jerusalemer Tempelbergs, ausserhalb der heutigen Stadtmauern, liegt die Davidstadt. Dort wurde ein antikes Tunnelsystem ausgegraben, das die einzige Ganzjahresquelle in Jerusalem — die Gihonquelle — vom Zionberg ins Zentrum der antiken Stadt führte. Dieser sogenannte Shiloach-Tunnel führt inmitten des Tempelbergs durch und gilt für seine Zeit als technische Meisterleistung. Ich fühle mich wie im Film «Indiana Jones und der letzte Kreuzzug» als wir mit wenigen Taschenlampen bewaffnet durch den stockdunklen engen Tunnel knietief durchs Quellwasser waten. Nach etwa einer Stunde sehen wir wieder Tageslicht.
Zu meinen weiteren Highlights in Jerusalem gehört auf alle Fälle der Tempelberg, bei welchem man sich nicht entgehen lassen sollte, einen Wunschzettel bei der Klagemauer zu hinterlassen. Tipp: Beim Besuch solcher religiösen Stätten immer lange Bekleidung zum Überwerfen mit dabei haben. Ebenso ist die Grabeskirche in der Jerusalemer Altstadt für Architekturbegeisterte ein absolutes Muss. Von dort aus gelangt man auf direktem Wege zu den bunten Marktständen der langen Via Dolorosa. Zudem kann man sich bestens einen ganzen Tag lang auf dem Museumskomplex Yad Vashem — Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust — verweilen. Sie gilt als bedeutendste wissenschaftlich dokumentierte Gedenkstätte des Judentums.
Neben ganz viel Kulturgeschichte hat Jerusalem auch ein interessantes Nachtleben zu bieten. Durch Zufall gelangen wir an die Adresse des mysteriösesten Lokals der Stadt — der Gatsby Cocktail Room. Kein Türschild, keine Klingel, nur der Mut, die schwarze Lagerhallentür zu öffnen, führt ins Paradies der Zwanziger Jahre. Einmal eingetreten, steht man in einem Büro, die Wände voll mit Büchern und am Tisch sitzt eine «Sekretärin», die fragt, wohin es denn gehen soll. Das Codewort hier: «Wir wollen zu Gatsby». Ein Knopfdruck später öffnet sich die Bücherregalwand und man tritt in die Welt der Goldenen Zwanziger ein. Nicht wundern: Einige Gäste verkleiden sich hier tatsächlich im Sinne der «Roaring Twenties» und schlürfen an Cocktails, die wir heute gar nicht mehr kennen.
Im Norden Israels finden sich auf den Golanhöhen optimale Voraussetzungen für den Weinbau. Die dort produzierten Qualitätsweine sind heute international angesehen und konnten in den letzten Jahren Dutzende von Auszeichnungen abräumen. Wir besuchen deshalb die Weinkellerei der Golan Heights Winery, die von einem Kibbutzim betrieben wird. Kurz zur Erklärung: Ein Kibbuz ist eine Art Kommune oder im israelischen Sinne eine ländliche Kollektivsiedlung mit gemeinsamem Eigentum und basisdemokratischen Strukturen. Diese Lebensweise war in den 1960 bis 1990 Jahren vor allem bei den einreisenden Überlebenden des Zweiten Weltkrieges beliebt. Ihre Haupteinnahmequelle ist die Landwirtschaft. Früher waren es Citrusfrüchte und Äpfel — heute ist das Geschäft auf den Weinhandel umgeschwenkt.
Schwenken dürfen auch wir. Nach der Führung durch die Lagerhallen, die in dieser unglaublichen Hitze mit modernster Technologie den Weinen ihr Wohlfühlklima bieten, nehmen wir im Degustationsraum platz. Cabenet Sauvignon, Merlot Cabernet, Syrah, weisser Riesling und Muscat Canelli — alles koscher. Nach ein paar Mal Weinnippen fühle auch ich mich wie eine Weinkennerin und komme nicht umher, anschliessend den Weinshop mit zwei Flaschen als Mitbringsel für Zuhause zu verlassen.
Die letzten Tage in Tel Aviv vergehen wie im Fluge. Es gibt noch unzählig viel Unentdecktes zu erkunden. Bei unseren Streifzügen durch die Stadt landen wir in einem Lieblingslokal nach dem anderen oder verlieren uns in Shoppingparadiesen des Guten Geschmacks. Mein Hotelzimmer bleibt während den letzten Tagen praktisch ungenutzt. Zu sehr zieht mich die Lust, ein weiteres Abenteuer zu erleben oder eine Trouvaille zu finden, nach draussen. Fahrradtouren entlang der Küste, inspirierende Museumsbesuche sowie Joggen und Meerbaden bis tief in die Nacht bilden den Abschluss meiner Reise, bis es heisst «Shalom Israel» (hebräisch für: Auf Wiedersehen Israel).
Gatsby Cocktail Room — Hillel Strasse 18, Jerusalem: Einzigartiges Lokal, das in die Welt der Roaring Twenties verführt.
Par Derriere, Garden Wine Bar — King George Strasse 4, Tel Aviv: Im verwunschenen Garten des «Par Derriere» bleibt die Zeit bei Jazz und einem guten Glas Wein gänzlich stehen. Die Bedienung ist herzerwärmend.
Restaurant Benedict — Rothschild Strasse 29, Tel Aviv: Hier glaubt man, dass das Frühstück eine Art Lifestyle ist und zu jeder Tageszeit auf den Teller kommen sollte. Wahrhaftig kann man hier sogar noch um vier Uhr morgens ein Egg Benedict bestellen. Pop-Ikone Madonna hat diesen Alltime-Service auch schon in Anspruch genommen. Wegen der langen Wartezeiten nicht enttäuscht sein, hier warten alle an die 30 Minuten auf einen Tisch. Am besten vorbeigehen, reservieren und noch eine Runde auf dem Rothschild Boulevard drehen.
Restaurant Messa — Haarbaa Strasse 19, Tel Aviv: Wer in Israel chic essen möchte, sollte ins Messa gehen. Das Ambiente lässt den Atem stocken und die kulinarischen Menüs setzen sich als unvergessliches Erlebnis im Geschmackszentrum fest. Unbedingt im Voraus reservieren.
Tamara Yogurt — Ben Yehuda Strasse 96, Tel Aviv: Das beste Frozen Joghurt, das ich jemals hatte. Angefangen bei Auswahl von fünf verschiedenen Joghurtsorten bis hin zu den an die vierzig verschiedenen Toppings, die selbstverständlich immer wieder nachgefüllt werden dürfen, solange man noch Frozen Joghurt im Becher hat.
Fotos: iStock, Silvia Princigalli